FOTO: © Thomas Aurin

Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen

Das sagt der/die Veranstalter:in:
K: Ich weiß nicht, er ist jetzt schon 97 Jahre alt und spielt immer noch. Den Tolstoi hatte er schon mit 43 gespielt. Und jetzt spielt er ihn wieder. Den jungen Tolstoi! Also er hat sich den Bart abrasiert dafür. Er hatte so einen grauen Tolstoi-Bart, und den hat er sich gestern abrasieren lassen. Er sah dem alten Tolstoi ähnlicher als der sich selbst. Jetzt ist er ein alter, glattrasierter 43-Jahre-Tolstoi. Also es wäre besser gewesen, man würde nicht zu viel davon sehen und er hätte den Bart dran gelassen. Aber solch einen Bart hat natürlich auch kein 43jähriger Tolstoi. Und den spielt er jetzt nun mal. Es ist schon verrückt, das Theater. Und andererseits fällt einem auf, dass die jungen Leute da draußen so auf alt und müde geschminkt sind, mit grauen Haaren und schwarzen Augenrändern. Sie sitzen da, auf der Wiese, und man kann ja auch nicht genug von ihnen sehen, aber dann fallen einem ihre grauen Haare auf, und die müden Ringe um die Augen. Als wären die großen Werke an den Teenagern hängengeblieben. Ja, die jungen Leute! All die jungen Leute, die total alt aussehen, und die alten versuchen immer jung zu bleiben… Irgendwas ist dran an dem „jung und alt“. Sag ich jetzt mal so. Es gibt die Jungen, es gibt die Mittelalten und die Älteren. Natürlich, es gibt noch mehr. Aber jung und alt, sag ich mal so, das ist ein Thema. Ich hatte ja immer einen Blick für die jungen Leute, ein Gefühl dafür. Man müsste sie aufbauen. Ja, klingt schlimm, ich weiß. Oder man müsste sie verderben, wie die Philosophie es mal gemacht hat. Man müsste sich an die Jugend richten. Aber bei all dem Schönen hier und Einheitlichen laufen da zu wenig Jugendliche rum. Oder junge Erwachsene. Im Sommer sind sie am See und das ist toll. Dann ist da Musik und die kiffen und tanzen und sehen übrigens auch toll aus. Und dabei schieben sie den grauen Vorhang ihrer Haare zur Seite und denken: Was hab ich zu sagen? Was will ich sagen, wo steh ich jetzt gerade? In der Welt. Und nicht im Theater. Ja, das weiß ich jetzt nicht so genau. Wo sind wir, fragen die Jungen. Wo sind wir, fragen die Alten… Da ist so ein Türchen im Nirgendwo. Es ist eine Pforte. Und sie führt in das Innere von Tolstoi, oder in das Innere des Kastens, in dem der Vorhang normalerweise verweilt. Nur, hier hat er beschlossen, ein Tänzchen aufzuführn. Hier gibt es anscheinend eine Pforte und eine Tür, und dahinter kann man weiter dem Vorhang zusehen. Wie einem Anfang und einem Ende gleichzeitig. Was machen die Menschen da? Nein, seht nicht auf sie. Seht auf den Vorhang! Ihr habt immer falsch hingesehen, auf die komischen Figuren da unten. Seht doch mal auf den Stoff! Und wie der sich bewegt. Man hat sich mit einem Stoff beschäftigt, Bühnenbildnerinnen zum Beispiel, und dann passiert sowas, wie das hier. Seht euch nicht die Engel an, die zu Beginn von Goethes Faust herumstehen und deklamieren, dass die Sonne tönt nach alter Weise, dass Paradieseshelle wechselt mit tiefer schauervoller Nacht, sondern seht weiter auf die Flügel dieses Vorhangs, auf diesen Vorhang, dem anscheinend Flügel gewachsen sind. Photo/Video: © Christian Thiel

Location

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Linienstraße 227 10178 Berlin

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